Es ist nicht leicht, Gestalttherapie für jemanden zu beschreiben, der sie nicht erlebt hat, doch Bruno-Paul de Roeck hat es sehr dicht und provozierend getroffen:
"Bei der Gestalttherapie geht es um dich und mich
und um unsere Erfahrung hier und jetzt. Um Wachstum: spontaner, lebendiger und glücklicher sein.
Deinen eigenen Kern mehr wertschätzen. Neue Schritte riskieren.
Von der Psychotherapie erwartet man, daß sie Menschen anpaßt
und sie wieder in das gesellschaftliche Joch einspannt.
Gestalt versucht, angepaßte Menschen, die in Ihrem Joch nicht glücklich sind,
wieder auf eigene Füße zu stellen."
Bruno-Paul de Roeck, in "Gras unter meinen Füßen"
Methoden der Gestalttherapie
Das dialogische Prinzip. Durch die direkte und konkrete Arbeit an aktuellen Situationen und an der Beziehung zwischen Klient und Therapeut soll der Kontakt des Patienten zu sich selbst und zu seiner Umwelt gefördert und unterstützt, sollen bestehende Kontaktstörungen überwunden werden. Auf diese Weise werden die Selbstheilungskräfte des Patienten freigelegt und neue Einsichten, Erfahrungen und Verhaltensmöglichkeiten erschlossen. Die Gestalttherapie betrachtet die Selbstheilungskräfte als Teil der organismischen Selbstregulation, also der Fähigkeit des Organismus, sich in seiner Umgebung zu erhalten.
Die Kontaktfunktionen. Zu den sogenannten Kontaktfunktionen gehören Projektion, Introjektion, Retroflektion, Konfluenz und Deflektion. Sie werden auch als „Kontaktstörungen" oder als „Kontaktunterbrechungen" begriffen. Das ist der erste Handlungsansatz des Therapeuten, zu sehen und spüren, wo der Kantakt beeinträchtigt ist, der Kontakt zu sich selbst, zum Gegenüber, zur Umwelt. Alle "Störungen" haben auch immer einen Sinn gehabt in der Vergangenheit, in der Regel eine Schutzfunktion, die wertzuschätzen ist, aber jetzt nicht mehr nötig ist und den Handlungsspielraum einschränkt. In der konkreten Arbeit werden Situationen ganzheitlich – im Fühlen, Denken und Handeln- erfahrbar gemacht. Bewusstheit wird erweitert, Geschehnisse im Außen und eigenes Erleben können prägnanter wahrgenommen und aus neuer Perspektive betrachtet werden. Klienten kommen in Kontakt mit sich und ihren inneren und äußeren Ressourcen.
Ganzheit, Feld, Prozess. Der ganzheitliche Ansatz der Gestalttherapie besteht darin, den Menschen als untrennbare Einheit von Körper, Geist und Seele zu betrachten. Wie einen Organismus, der nie isoliert von seiner Umgebung gesehen und verstanden werden kann.
Eine ganz einfache und sehr wirkungsvolle Grundmethode ist die Arbeit mit dem "leeren Stuhl". Der leere Stuhl dient dabei als Projektionsfläche und Platzhalter für Bezugspersonen, die für den Klienten im Zusammenhang mit einem bestimmten Thema bedeutsam, aber abwesend sind, oder für einen Persönlichkeitsanteil des Klienten. Bei diesen Dialogen in der Vorstellung der Erinnerungen oder Phantasieen, wird der Klient aufgefordert, sich vorzustellen, dass die abwesende Bezugsperson, oder das Gefühl auf dem leeren Stuhl sitzt, und dann mit allen was im Gegenüber auftritt, in einen Dialog zu treten. Diese Technik ist eine große Hilfe entgegengesetzte Pole, inneren Zwiespalt, anstehende Entscheidungen in eine innere Harmonie zu bringen. Das ist der Weg von der Dualität zu Einheit.
Ein wesentliches Element des Gestaltansatzes ist die spezifische Haltung des Therapeuten. Er bleibt nicht hinter seiner professionellen Rolle verborgen, sondern bringt sich selbst lebendig in die Begegnung ein ohne dadurch an Professionalität zu verlieren. Präsent und offen geht er in Resonanz zum Geschehen und stellt sich mit seinen Wahrnehmungen und Perspektiven zur Verfügung ohne dass diese ein stärkeres Gewicht hätten als die des Klienten. Die Dinge bekommen Raum, können deutlich und prägnant werden ohne bewertet und zensiert zu werden. So entsteht ein gemeinsamer Entdeckungsraum, in dem Klienten mit neuen Erlebens- und Handlungsräumen experimentieren können, nachhaltige Veränderung wird möglich.
meines Ausbildungsintituts in Nürnberg, dem Symbolon Institut für Gestalttherapie und der allgemeinen Enzyklopedie Wikipedia.
Das Märchen vom Gärtner beschreibt sehr schön in einer erzählerischen Weise um was es in der Gestalttherapie geht.
Es war einmal ein Gärtner. Eines Tages nahm er seine Frau bei der Hand und sagte: "Komm, Frau, wir wollen einen Baum pflanzen." Die Frau antwortete: "Wenn du meinst, mein lieber Mann, dann wollen wir einen Baum pflanzen." Sie gingen in den Garten und pflanzten einen Baum.
Es dauerte nicht lange, da konnte man das erste Grün zart aus der Erde sprießen sehen. Der Baum, der eigentlich noch kein Baum richtiger Baum war, erblickte zum ersten Mal die Sonne. Er fühlte die Wärme ihrer Strahlen auf seinen Blättchen und streckte sich ihnen hoch entgegen. Er begrüßte sie auf seine Weise, ließ sich glücklich bescheinen und fand es wunderschön, auf der Welt zu sein und zu wachsen. "Schau", sagte der Gärtner zu seiner Frau, "ist er nicht niedlich, unser Baum?" Und seine Frau antwortete: "Ja, lieber Mann, wie du schon sagtest: Ein schöner Baum!"
Der Baum begann größer und höher zu wachsen und reckte sich immer weiter der Sonne entgegen. Er fühlte den Wind und spürte den Regen, genoß die warme und feste Erde um seine Wurzeln und war glücklich. Und jedes Mal, wenn der Gärtner und seine Frau nach ihm sahen, ihn mit Wasser tränkten und ihn einen schönen Baum nannten, fühlte er sich wohl. Denn da war jemand, der ihn mochte, ihn pflegte und beschützte. Er wurde lieb gehabt und war nicht allein auf dieser Welt. So wuchs er zufrieden vor sich hin und wollte nichts weiter als leben und wachsen, Wind und regen spüren, Erde und Sonne fühlen, lieb gehabt werden und andere liebhaben.
Eines Tages merkte der Baum, daß es besonders schön war, ein wenig nach links zu wachsen, denn von dort schien die Sonne mehr auf seine Blätter. Also wuchs er jetzt ein wenig nach links.
"Schau", sagte der Gärtner zu seiner Frau, "unser Baum wächst schief. Seit wann dürfen denn Bäume schief wachsen, und dazu noch in unserem Garten? Ausgerechnet unser Baum! Gott hat die Bäume nicht erschaffen, damit sie schief wachsen, nicht wahr, Frau?" Seine Frau gab ihm natürlich recht. "Du bist eine kluge und gottesfürchtige Frau", meinte daraufhin der Gärtner, "hol also unsere Schere, denn wir wollen unseren Baum gerade schneiden."
Der Baum weinte. Die Menschen, die ihn bisher so lieb gepflegt hatten, denen er vertraute, schnitten ihm die Äste ab, die der Sonne am nächsten waren. Er konnte nicht sprechen und deshalb nicht fragen. Er konnte nicht begreifen. Aber sie sagten ja, daß sie ihn lieb hätten und es gut mit ihm meinten. Und sie sagten, daß ein richtiger Baum gerade wachsen müsse. Und Gott es nicht gern sähe, wenn er schief wachse. Also mußte es wohl stimmen. Er wuchs nicht mehr der Sonne entgegen.
"Ist er nicht brav, unser Baum?" fragte der Gärtner seine Frau. "Sicher, lieber Mann", antwortete sie, "du hast immer recht. Unser Baum ist ein braver Baum."
Der Baum begann zu verstehen. Wenn er machte, was ihm Spaß und Freude bereitete, dann war er anscheinend ein böser Baum. Er war nur lieb und brav, wenn er tat, was der Gärtner und seine Frau von ihm erwarteten. Also wuchs er jetzt strebsam in die Höhe und gab darauf acht, nicht mehr schief zu wachsen.
"Sieh dir das an", sagte der Gärtner eines Tages zu seiner Frau, "unser Baum wächst so unverschämt schnell in die Höhe. Gehört sich das für einen rechten Baum?" Seine Frau antwortete: "Aber nein, lieber Mann, das gehört sich natürlich nicht. Gott will, daß Bäume langsam und in Ruhe wachsen. Und auch unser Nachbar meinte, daß Bäume bescheiden sein müßten, ihrer wachse auch schön langsam." Der Gärtner lobte seine Frau und sagte, daß sie etwas von Bäumen verstehe. Und dann schickte er sie die Schere holen, um dem Baum die Äste zu stutzen.
Sehr lange weinte Baum in dieser Nacht. Warum schnitt man ihm einfach die Äste ab, die dem Gärtner und seiner Frau nicht gefielen? Und wer war dieser Gott, der angeblich gegen alles war, was Spaß machte?
"Schau her, Frau", sagte der Gärtner, "wir können stolz sein auf unseren Baum." Und seine Frau gab ihm recht.
Der Baum wurde trotzig. Nun gut, wenn schon nicht in die Höhe, dann eben in die Breite. Sie würden ja schon sehen, wohin sie damit kommen. Schließlich wollte er nur wachsen, Sonne, Wind und Erde fühlen, Freude haben und Freude bereiten. In seinem Inneren spürte er ganz genau, daß es richtig war, zu wachsen. Also wuchs er jetzt in die Breite.
"Das ist doch nicht zu fassen." Der Gärtner holte empört die Schere und sagte zu seiner Frau: "Stell dir vor, unser Baum wächst einfach in die Breite. Das könnte ihm so passen. Das scheint ihm ja geradezu Spaß zu machen. So etwas können wir auf keinen Fall dulden!" Und seine Frau pflichtete ihm bei. "Das können wir nicht zulassen. Dann müssen wir ihn eben wieder zurecht stutzen."
Der Baum konnte nicht mehr weinen, er hatte keinen Tränen mehr. Er hörte auf zu wachsen. Ihm machte das Leben keine rechte Freude mehr. Immerhin, er schien nun dem Gärtner und seiner Frau zu gefallen. Wenn auch alles keine rechte Freude mehr bereitete, so wurde er doch wenigstens lieb gehabt. So dachte der Baum.
Viele Jahre später kam ein kleines Mädchen mit seinem Vater am Baum vorbei. Er war inzwischen erwachsen geworden, der Gärtner und seine Frau waren stolz auf ihn. Er war ein rechter und anständiger Baum geworden. Das kleine Mädchen blieb vor ihm stehen. "Papa, findest du nicht auch, daß der Baum ein bißchen traurig aussieht?" fragte es. "Ich weiß es nicht", sagte der Vater. "Als ich so klein war wie du, konnte ich auch sehen, ob ein Baum fröhlich oder traurig ist. Aber heute sehe ich das nicht mehr."
"Der Baum sieht aber wirklich ganz traurig aus. "Das kleine Mädchen sah den Baum mitfühlend an. "Den hat bestimmt niemand richtig lieb. Schau mal, wie ordentlich der gewachsen ist. Ich glaube, der wollte mal ganz anders wachsen, durfte aber nicht. Und deshalb ist er traurig." "Vielleicht", antwortete der Vater versonnen. "Aber wer kann schon wachsen wie er will?" "Warum denn nicht?" fragte das kleine Mädchen. "Wenn jemand den Baum wirklich lieb hat, kann er ihn auch wachsen lassen, wie er will. Oder nicht? Er tut doch niemandem etwas zuleide."
Erstaunt und schließlich erschrocken blickte der Vater sein Kind an. Dann sagte er: "Weißt du, keiner darf so wachsen wie er will, weil sonst die anderen merken würden, daß auch sie nicht so gewachsen sind, wie sie eigentlich wollten." "Das verstehe ich nicht, Papa!" "Sicher mein Kind, das kannst du noch nicht verstehen. Auch du bist vielleicht nicht immer so gewachsen, wie du gerne wolltest. Auch du durftest nicht." "Aber warum denn nicht, Papa? Du hast mich doch lieb und Mama hat mich auch lieb, nicht wahr?" Der Vater sah sie eine Weile nachdenklich an, "Ja", sagte er dann, "sicher haben wir dich lieb."
Sie gingen langsam weiter und das kleine Mädchen dachte noch lange über dieses Gespräch und den traurigen Baum nach. Der Baum hatte den beiden aufmerksam zugehört. Auch er dachte lange nach. Er blickte ihnen noch hinterher, als er sie eigentlich schon lange nicht mehr sehen konnte. Dann begriff der Baum. Und er begann hemmungslos zu weinen.
Heinz Körner : Ein Märchen